Das Licht geht nicht.
Wieder einer jener Träume. Das Licht geht nicht. Ein Déjà-vu. Man weiß, man träumt. Und man weiß, man hat so etwas schon einmal geträumt. Einmal. Viele Male. Man träumt.
Man. Da ist nichts, was Ich sein könnte. Nur man. Man träumt. Eigentlich zweimal man. Ein Träumer, ein Beobachter im Traum. Der wieder ist keine Person. Der weiß nur und verzeichnet und sorgt, vielleicht, dass beim Erwachen all das hier unvergessen bleibt. Déjà-vu: Aufwachen wird man, das ist gewusst, nur wann nicht und nur nicht wie. Und die Verfassung nicht, vielleicht ist man bis dahin längst schon tot.
Wer beobachtet wird, das ist der Andere. Nein, kein Anderer. Da ist kein Anderer. Nur geballte animalische Angst. Panik, die Gestalt gewinnt. Ein Tier mag sich so spüren. Die Haare aufgestellt, die Lunge keucht und alle Sinne stehen auf Alarm.
Das Licht geht nicht!
Das ist nicht wahr. Das Licht geht. Es lässt sich schalten. An und aus. Doch es leuchtet nicht, macht rein überhaupt nichts hell. Als ob lediglich ein Dunkel brennte und mittendrin, wo eine Birne hätte sein sollen, schwaches Glimmen, ein Glühdraht fast, aber auch kein bisschen mehr.
Hier ist nichts hell. Hier ist nur Schatten. Viel Schatten. Viele, lebende Schatten. Sie bewegen sich, der Körper spürts mit jeder Faser. Sie kommen auf dich zu. Die Angst verdichtet sich darin, wird Eigenwesen, ein Ich ganz eigener Art. Purer, Fleisch gewordener Instinkt. Handeln bleibt da nur, vielleicht, und ganz aus sich heraus.
Es ist einer jener Träume. Der Beobachter weiß, was nun geschieht: Das Licht geht nicht. Schalter aus, Licht aus. Das zumindest geht. Die Schatten sterben ab. Ein wenig Luft, für einen Augenblick, denn die Angst, sie bleibt. Im Finstern ist kein Leben möglich.
Schalter ein. Nichts. Dann, quälend langsam, Birnenglimmen. Und die Schatten wieder. Aber so wie das Glimmen diesmal anders lebt, leben auch die Schatten neu, sind nicht Bilder nur aus Finsternis. Das scheint zu leuchten, Eigenwesen, bedrängt bedrängend, Dunkelscheinen. Lichtertreiben, das sich selber frisst.
Und das rückt näher. Unaufhaltsam wie es scheint. Und doch ist es lediglich die Angst. Schließ die Augen, spür: Alles springt an seinen angestammten Ort.
Der Ort, auch so ein Déjà-vu. Der Beobachter weiß, was hier ist, was hier zu sein hat, obzwar all das wieder unbenennbar ist. Ein Kellerraum möchte das sein. Und dann auch wieder nicht. Ein Kinderzimmer, alt erinnert: Schrank, Bett, ein Mobile darüber, das früher schon zur Nacht am Leben fraß. Und selbst das dann wieder nicht: ein Treppenhaus, voll gestellt mit unerklärt verbotenem, Tabu beladenem Schrank- und Truhenkram. Rühr das nicht an! Es frisst dich auf!
Das Tier steht starr, fest gebannt vor eine Treppenhöhle. Ein Dunkelpfad ins Nichts. So soll das sein. Auch wenn der Beobachter weiß: Das führt hinaus aus diesem Traumgeschehen. Endlos fort ins Nichts. Stufe über Stufe, die jede nur für sich sein wird. Stufe über Stufe wachsende Angst. Ein Treppengang ins Paniksein. Und doch, man muss gehen. Es gibt keinen anderen Weg.
Denn das Licht geht nicht. Hinten drängen immer neue Schatten. Und vorne löst der Stufenweg sich auf, falls nicht sofort Entscheidendes geschieht. Da gibt es kein Vermeiden. Nur nicht die Augen schließen! Die letzte Hoffnung, sie treibt sogleich in absolutes Dunkel fort.
Das Tier aber steht gebannt, erstarrt, gelähmt. Wie löst man sich, wenn kein Glied zu rühren geht? Auch wenn der Beobachter weiß: Es ist ganz einfach. Dreh dich. Heb den fest geklemmten Arm. Duck dich. Spür die Kraft, wie sie wächst im Augenblick. Tu was! Dreh dich! Dreh dich um!
Ja, dreh dich. Wenn es nur ginge. Aber da gibt es nicht die aller schwächste Kraft. Da rührt sich nichts. Alles begraben wie unter einem Berg aus Sand, Treibsand, unentrinnbar eingezwängt, eisenfest gefügte Folterbänder.
Es keucht, das Tier. Fühlt die letzte Schwäche näher kommen. Tod liegt in den Schatten.
Das Licht geht nicht!
Kein Licht? Nein! Das kann, das darf nicht sein!
Das wird nicht sein. Der Beobachter weiß. Man muss die Schatten kommen lassen. Auch wenn jede Faser sich dagegen sträubt.
Es ist ein Déjà-vu. Es war schon lange da. Und es wird wieder sein. Lass sie kommen, die Schatten. Dreh dich! Kämpf! Und saug es auf, ihr Dunkellicht. Spür, wie es sich ausbreiten will in dir. Doch du bist du, mehr als nur animalische Angst. Gib nach! Wehr dich!
Dreh dich! Das Licht geht nicht? Und wenn schon. Denk nicht! Nimm den Arm endlich raus! Duck dich! Die Treppe ruft. Spring!
Und dann ist Licht. Allein noch Licht. Schmerzendes, scharfes, überwältigend weißes Licht. Das Tier jagt über Treppenstufen. Panik pur. Es geht zu Ende.
Zu Ende? Ein Déjà-vu. Es war. Es wird wieder sein.
Verzeichnet noch im Erwachen – der Beobachter weiß: Wieder, immer wieder, Traum.
(Copyright © 19. April 2015, Bernd Pol)
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